Erwartungen der Freien Wohlfahrtspflege Bayern an die Bundespolitik der 20. Legislaturperiode

Der Stellenwert einer bedarfsgerechten Pflege wird zunehmend bedeutender. Gerade in der jüngsten Vergangenheit hat sich gezeigt, wie sehr dieses Thema Politik und Gesellschaft in der Bundesrepublik bewegt, aber auch wie schnell wieder zu einer Normalität des Alltags übergegangen wird, ohne dass es zu spürbaren Konsequenzen für diesen Bereich kommt.

Die Freie Wohlfahrtspflege Bayern hat sich deshalb entschlossen, einen umfassenden Forderungskatalog, der weitreichende Verbesserungen der Rahmenbedingungen für Pflegebedürftige, pflegende Angehörige und für das gesamte in der Pflege tätige Personal umfasst, zu formulieren und an die Öffentlichkeit zu treten.

1.    Wir erwarten eine umfassende Reform der sozialen Pflegeversicherung
2.    Wir erwarten die Entlastung von pflegenden Zu- und Angehörigen
3.    Die Digitalisierung in der Pflege muss weiter vorangetrieben werden
4.    Wir erwarten eine Weiterentwicklung der Pflegeausbildung
5.    Wir erwarten die Stärkung der Versorgungsinfrastruktur vor Ort
6.    Wir erwarten bessere Rahmenbedingungen für die Mitarbeitenden

1. Wir erwarten eine umfassende Reform der sozialen Pflegeversicherung

Nachdem die sogenannte „kleine Pflegereform“ aus Sicht der Freien Wohlfahrtspflege Bayern nur unzureichend war, ist dieses Projekt nach den Wahlen prioritär wieder aufzugreifen. Not-wendig ist ein Systemwechsel hin zu einer gerechten, solidarischen und nachhaltigen Sozialen Pflegeversicherung.
Die zentralen Punkte aus Sicht der Freien Wohlfahrtspflege Bayern sind:

  • Die Übernahme der medizinischen Behandlungspflege in stationären Einrichtungen durch die Krankenkassen.
  • Die regelhafte Dynamisierung der Leistungen
  • Die Begrenzung der Eigenanteile.
  • Die Personalbemessung verbessern: Aktive Umsetzung des Roadmap-Prozesses in der stationären Langzeitpflege nach §113c SGB XI und Rücknahme von § 113c Abs. 6 SGB XI, so dass die bisherigen, gesonderten Vergütungszuschläge weiterhin zu Lasten der Pflegversicherung erbracht werden können.
  • Ein Festbetragszuschuss zu den Investitionskosten durch die Länder, um Pflegebe-dürftige in allen stationären Pflegeeinrichtungen zu entlasten.
  • Die Steuerfinanzierung „versicherungsfremder“ Leistungen.
  • Die vollständige Finanzierung der Ausbildung nach dem Pflegeberufegesetz durch die Pflegeversicherung.

2. Wir erwarten die Entlastung von pflegenden Zu- und Angehörigen

Der größte Teil der Pflege wird von Angehörigen geleistet. Mehr als ein Drittel der pflegenden Angehörigen sind älter als 65 Jahre und gehören zur gleichen Generation wie die Pflegebedürf-tigen selbst. Durch Krankheit sowie aufgrund der körperlichen und psychischen Belastung ihrer Pflegetätigkeit tragen sie selbst ein erhöhtes Risiko eher von Pflegebedürftigkeit betrof-fen zu sein. Ein weiterer Teil der pflegenden Angehörigen ist durch eigene Berufstätigkeit dop-pelt belastet. Es ist daher unbedingt erforderlich, pflegende Angehörige angemessen zu unter-stützen und zu begleiten, damit sie durch ihre pflegerische Tätigkeit weder ihre eigene Ge-sundheit gefährden noch an der Wahrnehmung anderer familiärer und beruflicher Anforderun-gen gehindert werden. Die Freie Wohlfahrtspflege Bayern erwartet in diesem Zusammenhang:

  • Dass Entlastungsangebote niedrigschwellig, flexibel und bedarfsgerecht gestaltet werden und eine vollständige Harmonisierung der Dauer von Verhinderungs- und Kurzzeitpflege erfolgt.
  • Die Sicherstellung eines flächendeckenden niedrigschwelligen Zugangs zum unter-stützenden Leistungsangebot mittels Vereinheitlichung vertraglicher Regelungen der Pflegekassen mit den Leistungserbringern.
  • Die Einführung eines Anspruchs von pflegenden Angehörigen auf eine aufsuchende Pflegeberatung, orientiert an § 37 Abs. 3 SGB XI, um u.a. die Kommunikation und Unterstützung von entfernt lebenden Angehörigen weiter zu fördern (Distance Care-giving).
  • Die Sicherstellung auskömmlicher finanzieller Rahmenbedingungen für den bedarfs-gerechten Ausbau der Kurzzeitpflege und den Aufbau solitärer Kurzzeitpflegeeinrich-tungen.
  • Die Verbesserung der rentenrechtlichen Absicherung von pflegenden Angehörigen.
  • Die Harmonisierung der Regelungen des Pflegezeitgesetzes und des Familien-Pflegezeitgesetzes.
  • Die Einführung einer Entgeltersatzleistung/Lohnersatzleistung analog zum Elterngeld bei der Pflegezeit bzw. Familienpflegezeit.

3. Die Digitalisierung in der Pflege muss weiter vorangetrieben werden
Die Freie Wohlfahrtspflege Bayern sieht in der effizienten Nutzung digitaler Technologien ein großes Potential für die Zukunft der Pflege und fordert die Politik deshalb auf, Prozesse der digitalen Transformation in der Pflege zu unterstützen und den konsequenten Anschluss der Pflege an die Telematikinfrastruktur umfassend und ausreichend zu fördern. Insbesondere die digitalen Anwendungen und die Kommunikation zwischen Pflegebedürftigen, Pflegeeinrichtun-gen, anderen Leistungserbringern in der Pflege- und Krankenversicherung sowie mit den Pfle-ge- und Krankenkassen können dadurch erleichtert und entbürokratisiert werden.

Dies erfordert:

  • Den massiven Ausbau der Netz- und Breitbandinfrastruktur.
  • Den parallelen Anschluss der Pflege an die Telematikinfrastruktur im Rahmen der Pflege- und der Krankenversicherung, inkl. der mobilen Datenerfassungen der ambu-lanten Pflegeeinrichtungen.
  • Gesetzgebungsverfahren, Modellprojekte und Aktivitäten der unterschiedlichen Ak-teure in einen transparenten Roadmap-Prozess zu integrieren und dabei Synergieef-fekte zu nutzen.
  • Bei allen Maßnahmen ist die Refinanzierung der Anschaffung von Hardware, Peripheriegeräten und Software sowie der Betriebskosten, der Wartung und das Engineering sicherzustellen, ohne dass es die Eigenanteile der pflegebedürftigen Menschen belastet. Dies gilt auch für die Anschubfinanzierung zur Digitalisierung.

4. Wir erwarten eine Weiterentwicklung der Pflegeausbildung
Die Kompetenzen der Pflegeberufe müssen um die eigenverantwortliche Ausübung von Heil-kunde erweitert werden. Langfristig empfehlen wir die Schaffung eines eigenständigen Heil-kundegesetzes, in dem die Kompetenzen aller Gesundheitsfachberufe im Kontext einer inter-disziplinären, sektorenübergreifenden Versorgung geregelt werden.
Das Pflegeberufegesetz ist aus Sicht der Freien Wohlfahrtspflege Bayern in folgenden                   Punkten zu reformieren:

  • Eine Streichung der im Gesetz vorgesehenen Anrechnung der Auszubildenden mit einer Wertschöpfung ist im zweiten und dritten Ausbildungsjahr.
  • Eine Gleichstellung der nicht an Krankenhäuser angeschlossenen Pflegeschulen be-züglich der Investitionskosten mit den an Krankenhäuser angeschlossenen Pflege-schulen.
  • Eine Sicherstellung aller erforderlichen Praxiseinsätze.
  • Eine Sicherstellung und Gewährleistung von Kooperationsbeziehungen mit Beitritt in Ausbildungsverbünde.
  • Die Aufhebung der Absenkung beim gesonderten Abschluss „Altenpflege“  
  • Der Anteil der Ausbildungskosten, der derzeit an die Pflegebedürftigen weitergereicht wird, muss gänzlich aus Mitteln der Pflegeversicherung und ohne Belastung der pflegebedürftigen Menschen finanziert werden.

5. Wir erwarten die Stärkung der Versorgungsinfrastruktur vor Ort
Die Freie Wohlfahrtspflege Bayern spricht sich dafür aus, dass die Kommunen ihrem Auftrag der Versorgung von Pflegebedürftigen mit Unterstützung der Kassen und der Leistungserbrin-ger stärker nachkommen können.

Wir fordern:

  • Eine Pflegestrukturgarantie mit Förderung und Ausbau von ambulanter Versorgung, Kurzzeitpflege, Tagespflege, ambulant betreute Wohngemeinschaften und einzelner Spezialisierungsbereiche.
  • Die Sicherstellung regionaler haus- und fachärztlicher Versorgung.
  • Die Sicherstellung einer professionellen Altenhilfeplanung in allen 96 kommunalen Ge-bietskörperschaften gem. Art. 69 Abs. 2 AGSG.
  • Die weitere Bearbeitung und Umsetzung der im Gutachten der IGES zur Kurzzeitpflege in Bayern enthaltenen Empfehlungen.

6. Wir erwarten bessere Rahmenbedingungen für die Mitarbeitenden
Eine spürbare Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Bezahlung aller Arbeitnehmer*
innen in der Pflege bleibt ganz oben auf der politischen Tagesordnung. Denn nur so lässt sich die Attraktivität der Pflegeberufe erhöhen und dem akuten Fachkräftemangel begegnen.
Um dieser Verantwortung gerecht zu werden, benötigen die Mitarbeitenden

  • Umfassende Möglichkeiten der Fort- und Weiterbildung für Fachkräfte.
  • Stärkere Förderung fachlicher Spezialisierung.
  • Regelmäßige Angebote zu Coaching und Supervision für Pflegekräfte.
  • Eine deutliche Entlastung in der täglichen Arbeit durch Entbürokratisierung.
  • Die offensive Förderung technischer Unterstützungsmöglichkeiten.
  • Die deutliche Vereinfachung und Vereinheitlichung bei der Anerkennung Ausländischer Fachkräfte.

Die oben genannten Maßnahmen und Personalkosten müssen in jedem Fall refinanziert sein.

In der Freien Wohlfahrtspflege Bayern sind das Bayerisches Rotes Kreuz, die Arbeiterwohlfahrt, der Landes-Caritasverband Bayern, die Diakonie Bayern, der Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern und der Paritätische Wohlfahrtsverband Bayern organisiert. Gemeinsam erbringen die Verbände rund 75 Prozent aller sozialen Dienstleistungen in Bayern. Rund sechs Prozent aller Beschäftigten im Freistaat, davon allein rund 95.000 in Pflegeheimen und weitere rd. 86.000 in Kindertagesstätten, arbeiten in der Sozialwirtschaft. Als Verband unterstützt die Freie Wohlfahrtspflege Bayern ihre Mitglieder durch Koordination und Absprachen bei der Realisierung von Zielen, mit denen sie ihren Beitrag dazu leisten, Bayern sozial zu gestalten.

Für Rückfragen steht Ihnen der Geschäftsführer der Freien Wohlfahrtspflege Bayern, Wilfried Mück (wilfried.mueck(at)caritas-bayern.de), zur Verfügung.